«Credit Suisse und AXA lancieren digitale Bancassurance-Dienstleistungen», «Joint Venture: Raiffeisen startet strategische Partnerschaft mit Mobiliar» und «Auch die UBS haucht der früheren Allfinanz-Idee neues Leben ein und bietet eine Lebensversicherung für Hypo-Kunden» - so und ähnlich lauten Pressemitteilungen aus der zweiten Jahreshälfte 2020.
Ein Blick zurück
Wer den Finanzplatz Schweiz schon länger kennt, reibt sich darüber allerdings verwundert die Augen, erinnert man sich doch noch an ganz andere Schlagzeilen aus 2006: «Abdankung von der Allfinanz-Idee», «Credit Suisse und Winterthur wie auch Gotthard Bank und Swiss Life sehen ein, dass Banken und Versicherungen sich wie Feuer und Wasser vertragen» oder «Ende eines Abenteuers». Im Zuge der Finanzkrise 2008 und 2009, als (international) besonders komplexe Finanzkonglomerate mit Allfinanz-Angeboten zu den am schwersten Getroffenen gehörten, haben sich schliesslich noch weitere Allfinanz-Verfechter abgewandt. Bezeichnend für diese früheren Kooperationen ist, dass sie – aufgrund der physischen statt digitalen Möglichkeiten – in der Regel in Form von Beteiligungen oder Tochtergesellschaften erfolgten und damit kapitalintensiv und schwerfällig waren.
Der Grundgedanke der Allfinanz war, dass die Kunden sämtliche benötigten Finanzdienstleistungen aus einer Hand erhalten und entsprechend nicht mehrere Unternehmen aufsuchen müssen. Allfinanzberater sollten den Kunden deshalb eine möglichst breite Produktepalette an Finanzprodukten (in der Regel Bank- und Versicherungsprodukte) anbieten. Dabei wurden (zumindest teilweise) die Kundenkontakte, Beratungs- und Vertriebsprozesse zusammengelegt, die generierten Erträge geteilt.
Die Hauptgründe für das Scheitern der Allfinanz lassen sich letztlich wie folgt zusammenfassen:
- Fehlende Nachfrage der Kunden nach kombinierten Angeboten
- Beratungsgespräche seit jeher mit – oft langjährigen – Vertrauenspersonen entweder bei der Bank oder der Versicherung geführt
- Abhängigkeit von physischen Kontakten
- Fehlende Integration der Dienstleistungen auf der Seite der Anbieter
Nun ist sie zurück: die Allfinanz respektive die «Bancassurance» wie sie heute genannt wird.
Neuer Wein in neuen Schläuchen
2021 besteht denn aber eine gänzlich andere Ausgangslage, als beim Allfinanz-Boom der späten 90er-Jahre.
Primär getrieben durch bessere Online-Angebote, besonders aber auch aufgrund des Siegeszuges der Smartphones und neuerer Technologien, haben sich der Alltag und damit die Kundenbedürfnisse stark gewandelt. Kunden haben heute Zugang zu weit mehr Informationen, können Angebote mit wenigen Klicks einholen und Konditionen praktisch ohne Aufwand vergleichen. Insgesamt hat die Kundenloyalität damit stark abgenommen, Kunden wollen selbstbestimmter und freier zusammenstellen, was ihnen zusagt. Von digitalen Angeboten wird erwartet, dass sie jederzeit verfügbar sind, angenehm in der Nutzung sind und in einem guten Preis-Leistungs-Verhältnis stehen. Beratung bleibt wichtig, aber die Kunden wollen Umfang, Detaillierungsgrad und Kanal bestimmen.
Dank technischer Möglichkeiten ist es einfacher geworden, Bank- oder Versicherungsprodukte darzustellen und zu vermitteln, mit intelligenten Prozessen können sie zudem automatisierter und damit kostengünstiger – und sicherer – abgewickelt werden.
Aufmerksame Leser/innen dürften bemerkt haben, dass hier trotz der Popularität der Bezeichnung «Bancassurance» der Begriff «Allfinanz» verwendet wird - dies aus Überzeugung, da mehr als nur Banken und Versicherungen in das Ökosystem eingebunden werden sollten. Betrachtet man die aktuellen Kooperationen, so bestehen diese vorwiegend zwischen Banken und Versicherungen, zwischen zwei oder wenigen Parteien, und beschränken sich noch weitgehend auf das Offerieren ihrer bestehenden Dienstleistungen in gebündelter Form. Jede Partei möchte die Kanäle des anderen mitnutzen, die eigenen Risiken minimieren und erhofft sich dadurch etwas Zusatzmarge. Dabei liegt das grösste Potential im Generieren neuer Produkte oder im viel offeneren Einbezug weiterer Marktteilnehmer.
Unsere Übersichtstabelle (hier abrufbar) vermittelt einen Überblick ausgewählter aktueller Kooperationen und zeigt auch, dass solche Kooperationen unterschiedlichste Formen aufweisen können. Von vertraglichen Vertriebsvereinbarungen über Beteiligungen, Eingehen von Joint-Ventures, Gründen spezieller Vertriebsgesellschaften bis zum Zusammenfassen unter einem Konzerndach sind alle Varianten möglich. Die neu vorherrschenden vertraglichen Kooperationen oder Vertriebsgesellschaften haben den grossen Vorteil der tieferen Kapitalintensität und höheren Flexibilität. Vermehrt erfolgt auch der Einbezug von Fintech- und Insurtech-Gesellschaften, was erfreulich ist, da diese Symbiose den wichtigsten Playern, den Kunden, zu Gute kommen wird.
Mit einem gemeinsamen Angebot können Banken und Versicherungen vom erweiterten Kundenkreis profitieren, die Kunden besser erfassen, kennen und ihnen vereinfacht Zugang zu geeigneten Lösungen für ihre aktuellen Bedürfnisse bieten. Ziel ist es, primärer Ansprechpartner für die Kunden sein zu können, um sie so nahe wie möglich an sich binden zu können. Dies wird – neben dem «neuen Gold» (den Kundendaten) – strategisch das Wesentlichste sein.
Da die knappen Margen aber nicht höher werden, wenn man sie teilt, ist man gut beraten, möglichst schlanke Formen zu suchen und sich strategisch möglichst kundennah und innovativ zu positionieren. Unabhängig von der gewählten Kooperationsform gilt es deshalb wesentliche Punkte zu beachten:
- Sicherung der Kundenschnittstelle und -bindung sowie Fokus auf Daten und deren Nutzung
- Nutzung von Informationen, um den Kunden zum richtigen Zeitpunkt/Anlass breitgefächert passende Angebote zu unterbreiten, dabei Fokus auf Einfachheit und Effizienz
- Strategische Partnerschaften; Umgang mit Partnerexklusivität vs. offener Kooperation
- Due Diligence aller wesentlichen Risiken (insbesondere rechtliche, regulatorische, operationelle und finanzielle) vor Lancierung solcher Kooperationen sowie Adaptierung der Prozesse, Kontrollen und Schulungen
- Intuitive IT-Lösungen mit Fokus auf Straight-Through-Processing und möglichst digitalen Prozessen
Bringen die digitalen Ökosysteme den Durchbruch?
Die veränderten Kundenbedürfnisse kombiniert mit den technischen Möglichkeiten und den neuen Möglichkeiten des «Open Finance» haben in den letzten Jahren vermehrt digitale Ökosysteme hervorgebracht. In der Schweiz sind beispielsweise verschiedene Vergleichsplattformen mit Abschlussmöglichkeiten, Crowdfunding-Plattformen, Fintech-Marktplätze wie auch Überlegungen zu einem digitalen Vorsorgeportal erwähnenswert. Neben den positiven Effekten dieser Plattformen für die Anbieter und Konsumenten, erhält auch der Betreiber der Plattform wertvolle Daten, die für eine optimierte kundenzentrierte Beratung genutzt werden können.
Marktteilnehmer tun gut daran, mutiger zu sein und viel aktiver zahlreiche passende Kooperationen zu suchen und einzugehen. Bei den Ausgestaltungsmöglichkeiten besteht immer grundsätzlich die Gefahr, dass Kooperationspartner oder andere Ökosysteme den Kunden für sich gewinnen können. Wer es aber schafft, den Kunden einen einfachen, transparenten, wenn möglich sogar unterhaltsamen Zugang zu breitgefächerten Produkten und Lösungen rund um Finanzen, Alltagsadministration, Lebenszyklus-Interessen etc. zu verschaffen, hat gute Chancen, den Kunden eng an sich binden zu können.