Klimaveränderungen, Umweltkatastrophen, Arbeitslosigkeit, Armut, unzureichender Zugang zu Wissen oder Medizin, schlechte Wasser- und Energieversorgung, Diskriminierung, Kriminalität wie Betrug und Geldwäscherei haben eines gemeinsam: sie alle sollen mit den 17 «Sustainable Development Goals» bekämpft werden. Direkt und indirekt ist auch – oder gerade – die Finanzindustrie gefordert.
Den Wald sehen, nicht nur Bäume
Nachhaltigkeit soll erreicht werden, indem ausgewogen auf Ökologische (E), Soziale (S) und Governance (G) Kriterien geachtet wird. Entscheidungen über Investitionen und Kapitalausgaben sollten diese ESG-Kriterien berücksichtigen und gleichzeitig sowohl für den Investor als auch für die Gesellschaft insgesamt von Vorteil sein.
Die EU definierte 2018 im «Actionplan on Sustainable Growth» ein Massnahmenpaket. In der Folge wurde am 16. Dezember 2019 eine Einigung über eine Taxonomie erzielt, die Kriterien definiert, welche Investments als nachhaltig, grün oder sozial gelten. Begleitet wird die Taxonomie von Vorgaben für institutionelle Investoren und Vermögensverwalter für die Offenlegung von Informationen über nachhaltige Investitionen und Nachhaltigkeitsrisiken sowie der Schaffung einer neuen Kategorie von Benchmarks, die Investoren ein besseres Verständnis der relativen Kohlenstoffauswirkungen ihrer Investitionen und eine längerfristige Renditeperspektive ermöglichen.
Zentral für Finanzinstitute sind vorgesehene Anpassungen an MiFID II, wonach ESG-Erwägungen in die Informationspflichten und Suitability-Anforderungen in der Beratung einzubeziehen sein werden.
Es bestehen heute keine global anerkannten Kriterien für ESG-Anlageprodukte und in der Folge auch keine einheitlichen ESG-Ratings, obwohl bedeutende Ratingagenturen nun daran sind, solche zu entwickeln. Auch mangelt es an international abgestimmten Reporting-Standards.
FINMA und SNB haben sich dem internationalen Netzwerk «Greening the Financial System» angeschlossen und die Schweizerische Bankiervereinigung hat sich der Herausforderung angenommen, ein Positionspapier zu «Sustainable Finance» veröffentlicht und Branchenempfehlungen dazu entwickelt, wie ESG-Kriterien in Produkte, Dienstleistungen und den Beratungsprozess eingebunden werden können. Für den Finanzplatz ist Transparenz in Sachen ESG-Kriterien wichtig, im Umgang mit Kunden das sogenannte «Greenwashing» oder das Nichtberücksichtigen von Kundenbedürfnissen inakzeptabel.
Der Markt ist bereit
Die Finanzintermediäre sollten sich nicht nur auf Standards oder die Regulierungspipeline fokussieren, sondern eine Analyse vornehmen, was ihre Stakeholder von ihnen erwarten und wie sie sich positionieren möchten. Dabei geht es nicht nur um die Investition in oder das Anbieten von nachhaltigen Investments, sondern um viel mehr. Oft werden von den ESG-Kriterien das «S» und das «G» vernachlässigt. Beispielsweise hat eine gute Governance schon manche Reputationsschäden verhindert, ausgewogene Führungsteams haben höhere Renditen erzielt und gutes Leadership talentierte Mitarbeitende für sich gewinnen und halten können. Das «E» alleine greift zu kurz.
Um die Bedürfnisse der Stakeholder umfassend zu befriedigen, ist ein ganzheitlicher Ansatz erforderlich. Kunden von Finanzinstituten werden oft nicht nur die Anlagemöglichkeiten, sondern oft auch die Unternehmenskultur und das Verhalten von Führungspersonen kritisch betrachten.
Ausgehend von der Bedürfnisanalyse der Stakeholder und einer Gewichtung sind Strategie, Ziele und Umsetzung zu definieren. Kriterien, die man sich freiwillig auferlegt oder vorgegebene Standards müssen in die Prozesse und in das Kontrollsystem eingebaut und überwacht werden.
Diese Neuerungen erfordern von Verwaltungsrat, Geschäftsleitung und Compliance das Schaffen eines gemeinsamen Verständnisses und ein abgestimmtes Vorgehen innerhalb (Analyse, Strategie, Prozesse, Risikomanagement und Compliance) und ausserhalb der Unternehmung (Kommunikation mit Kunden und weiteren Stakeholdern, angebotene Dienstleistungen, Ökosystem/Geschäftspartner).
Tipping-point
Jahrelang bremste der Irrglaube, dass mit nachhaltigen Investitionen eine tiefere Rendite erzielt wird. Die Sensibilisierung für problematische Altlasten und Folgen unpassender Geschäftsführung hat nun aber gezeigt, dass dies – zumindest bei Betrachtung über einen längeren Zeitraum – nicht stimmt.
Der Tipping-point dürfte nun erreicht sein. Kunden wollen immer öfter Nachhaltigkeit und Rendite und fordern diese von den Finanzmarktteilnehmern ein. Verbleibende Hürden (einheitliche Standards, Ratings, Offenlegung und organisatorische Anpassungen) müssen angegangen werden. Wir sind der Ansicht, dass die Zeit reif ist, für die Vornahme der Bedürfnisanalyse und für das Setzen klarer Zeichen. Wer ESG-Kriterien anwendet und neuen Standards folgt, ist am Markt und bei den Kunden gut für die Zukunft positioniert, und erst noch «compliant».