Wer Finanzdienstleistungen an Kundinnen und Kunden ausserhalb der Schweiz anbietet, kann mit der zwingenden Anwendung ausländischen Rechts konfrontiert werden. Eine Auslegeordnung über die Grundlagen und mögliche Anwendungsfälle.
Einfluss des internationalen Privatrechts auf das grenzüberschreitende Finanzdienstleistungsgeschäft
Schliesst ein Kunde einen Vertrag über eine Finanzdienstleistung – z.B. einen Vermögensverwaltungsvertrag – mit einem schweizerischen Finanzdienstleister ab, unterliegt der Vertrag gemäss Vereinbarung (Rechtswahl- und Gerichtsstandsklausel) meistens dem Recht und der Gerichtsbarkeit der Schweiz – könnte man meinen. Spätestens seit einem prominenten Fall, in dem ein Kunde eine Schweizer Bank an seinem deutschen Wohnsitz auf Schadenersatz einklagte, ist klar: Selbst «wasserdichte» Verträge oder AGB können den Einfluss ausländischer Gerichtsbarkeit und dort anwendbarer Schutznormen nicht verhindern.
Im Sinne einer Auslegeordnung werden nachfolgend zwei Szenarien skizziert, bei denen ausländische Kundenschutzbestimmungen auch in der Schweiz zur Anwendung gelangen können.
Szenario 1: Ausländischer Prozess - mit Wirkung in der Schweiz
Wer einen Vertrag mit einem in der EU ansässigen Kunden abschliesst, muss sich bewusst sein: Sobald die Gegenpartei als Verbraucherin qualifiziert – was bei Bank- oder Vermögensverwaltungskunden regelmässig der Fall ist – steht ihr das Recht zu, trotz anderslautender Vereinbarung am eigenen Wohnsitz zu klagen. Ermöglicht wird dies z.B. durch das Lugano Übereinkommen (LugÜ), welches ein Klagerecht des Verbrauchers an seinem Wohnsitz vorsieht. Ergebnis: Die vereinbarte Zuständigkeit (z.B. der Schweizer Gerichte) fällt dahin. Das «neu» zuständige Gericht am Wohnsitz des Verbrauchers wird dann, gestützt auf den Grundsatz der «kollisionsrechtlichen lex fori», regelmässig das eigene Recht am Gerichtsort anwenden, insbesondere die zwingenden (Verbraucherschutz-)Bestimmungen. Somit wird z.B. ein deutsches Gericht den dort zwingenden MiFID II-Vorschriften (z.B. Informationspflichten) zum Durchbruch verhelfen – trotz Rechtswahl und Gerichtsstand Schweiz. Aufgrund der staatsvertraglichen Verpflichtung, Urteile aus «LugÜ-Staaten» (u.a. alle EU-Staaten) automatisch zu anerkennen, hätte ein solches Urteil automatisch auch in der Schweiz Wirkung.
Dies ist deshalb auch in Zukunft von praktischer Bedeutung, weil beispielsweise die Kundenschutzbestimmungen von MiFID II im Vergleich zu FIDLEG durchaus weitreichender sind: MiFID II verlangt mitunter ein höheres Informationsniveau, strengere Berichterstattungspflichten und umfasst weniger weitreichende Opting-Out-Möglichkeiten – und ein EU-Kunde könnte sich dann darauf berufen.
Szenario 2: Anwendung ausländischer Kundenschutzbestimmungen in einem Schweizer Prozess
Auch ein Schweizer Gericht ist verpflichtet, bei Vorliegen eines «internationalen Sachverhalts» gestützt auf das Bundesgesetz über das internationale Privatrecht (IPRG) oder einschlägige Staatsverträge (wiederum bspw. LugÜ) zu prüfen, ob es international zuständig ist und welches Recht zur Anwendung gelangt. Hätte ein Schweizer Gericht den oben genannten Sachverhalt zu beurteilen, gälte das Gesagte analog: die schweizerische Zuständigkeit wäre in der Regel zu verneinen, wenn der Verbraucher Wohnsitz im Ausland hat. Selbst wenn aber in der Schweiz eine Zuständigkeit bestünde (z.B. weil der Verbraucher in der Schweiz klagen will), heisst dies nicht, dass ausländisches Recht automatisch unbeachtlich bleibt.
Gemäss IPRG kommt bei Verbraucherstreitigkeiten nämlich das Recht am Ort des «Konsumenten» (und somit z.B. deutsches Recht) zur Anwendung. Zudem sieht das IPRG allgemeine Schutzmechanismen vor, die bei gegebenen Voraussetzungen ausländischen zwingenden Normen zur Anwendung verhelfen.
Welches Schutzniveau anwenden?
Wie gesehen, können gerade gegenüber EU-Verbrauchern einschlägige Schutznormen vertraglich nicht wegbedungen werden und die «compliance-technische Doppelbelastung» durch Einhaltung lokalen und ausländischen Rechts ist je nach Konstellation unvermeidbar. Es empfiehlt sich, auch mit Inkrafttreten von FIDLEG im cross-border-Geschäft risikobasiert und von Fall zu Fall entscheiden, welches Schutzniveau gegenüber welchen Kunden zur Anwendung gelangen muss.