Die Vermeidung von Interessenkonflikten stellt einen bedeutenden Aspekt im Bereich des Anlegerschutzes dar. Dies zeigt sich mitunter dadurch, dass sich im FIDLEG und insbesondere in der FIDLEV gleich mehrere Artikel der Thematik annehmen. Der Begriff Interessenkonflikt umfasst dabei nicht nur divergierende Interessen zwischen Kunden und dem Finanzdienstleister, sondern auch das Interesse des Finanzdienstleisters, die Interessen von bestimmten Kunden über diejenigen anderer Kunden zu stellen.
Organisatorische Vorkehrungen (Art. 25 FIDLEG)
Zunächst sind Finanzinstitute dazu angehalten, ausreichende und angemessene organisatorische Vorkehrungen zu treffen, um Interessenkonflikte zu erkennen, zu vermeiden oder, falls sie sich nicht vermeiden lassen, offenzulegen.
- Massnahmen, um Interessenkonflikte zu erkennen (Inventar)
- Massnahmen, die notwendig sind, um den Austausch von Informationen zu verhindern, soweit der Austausch dem Kundeninteresse zuwiderlaufen könnte
- Trennung von Organisation und Führung von Mitarbeitenden, funktional und allenfalls auch räumlich
- Verbot falscher Anreize (variable Vergütung darf Qualität und Objektivität nicht beeinflussen)
- Erlass von internen Weisungen
- Offenlegung von Interessenkonflikten, die ohne unverhältnismässigen Aufwand nicht beseitigt werden können:
- Aus welchen Umständen ergibt sich der Interessenkonflikt?
- Welche Risiken ergeben sich für den Kunden bzw. die Kundin?
- Welche Vorkehrungen zur Minderung der Risiken werden getroffen?
Mitarbeitergeschäfte (Art. 27 FIDLEG)
Im Weiteren sind die Mitarbeitergeschäfte zu reglementieren und adäquate Kontrollmechanismen zu implementieren. Die Einhaltung der entsprechenden Vorgaben ist sowohl für sämtliche Mitarbeitenden wie auch für alle Personen auf Stufe Geschäftsleitung und Verwaltungsrat verpflichtend.
- Massnahmen, die geeignet sind, um die missbräuchliche Verwendung von Informationen durch Mitarbeitende zu verhindern
- Gelten auch für die Mitglieder des Verwaltungsrats und der Geschäftsleitung
- Massnahmen sind in interner Weisung festzulegen
- Einbezug des FINMA-Rundschreibens «Marktverhaltensregeln» (2013/8), welches neu auch für Vermögensverwalter anwendbar ist (z.B. «Watch List», «Restricted List» und Risikoanalyse)
Unzulässige Verhaltensweisen (Art. 27 FIDLEV)
In der FIDLEV werden zudem spezifische Verhaltensweisen aufgeführt, welche in jedem Fall unzulässig sind.
- Churning (Umschichtungen von Depots ohne wirtschaftlichen Grund)
- Front-/ und Parallelrunning
- Manipulation bei Dienstleistungen im Rahmen von Emissionen oder Platzierungen von Finanzinstrumenten
- Kursschnitte (Abrechnung von nicht den tatsächlich erzielten Kursen entsprechenden Preisen)
Retrozessionen (Art. 26 FIDLEG)
Nicht zuletzt fällt auch der Umgang mit Retrozessionen ins Feld der Interessenkonflikte und unterliegt konkreten Vorgaben. Die Schweiz vertritt in diesem Punkt einen vergleichsweise liberalen Ansatz und unterscheidet sich damit von anderen Gesetzgebungen, etwa jener der EU (bzw. deren Mitgliedsstaaten), welche Retrozessionen weitestgehend untersagt oder sehr stark einschränkt. Bei Kunden aus dem entsprechenden Raum ist daher die jeweils relevante Regulierung zu beachten.
- Finanzdienstleister dürfen im Zusammenhang mit der Erbringung von Finanzdienstleistungen Entschädigungen von Dritten nur annehmen, wenn sie:
- die Kundinnen und Kunden vorgängig ausdrücklich über die Entschädigung informiert haben und diese darauf verzichten; oder
- die Entschädigung vollumfänglich an die Kundinnen und Kunden weitergeben - Vorgängige Offenlegung von Art und Umfang der Entschädigung
- Information über Bandbreiten möglich (in % der AuM, nicht der investierten Vermögenswerte; vgl. BG 4A_355_2019)
- Für alle Arten von Finanzdienstleistungen gemäss FIDLEG (insbesondere Vermögensverwaltung und Anlageberatung, aber bspw. auch Execution Only)
- Art. 29 Abs. 1 FIDLEV: Per se nicht weiterreichbare Anreize (z.B. Research) sind als Interessenkonflikt auszuweisen
Vorsicht bei Kunden mit Domizil/Sitz in der EU/EWR (vollständiges Verbot von Retrozessionen bei Vermögensverwaltung, in der Anlageberatung unter starken Einschränkungen möglich, vollumfängliches Verbot solcher Entschädigungen wird aktuell diskutiert) - es sind die nationalen Umsetzungsgesetze, die strenger sein können, zu beachten.
Schliesslich ist darauf hinzuweisen, dass ein nicht gesetzeskonformer Umgang mit Retrozessionen zu strafrechtlichen Konsequenzen führen kann (siehe bspw. BGE vom 14. August 2018; 6B_689/2016, in dem ein Vermögensverwalter aufgrund nicht offengelegter Retrozessionen wegen ungetreuer Geschäftsbesorgung verurteilt wurde).
Fazit
Vorkehrungen und Massnahmen im Zusammenhang mit Interessenkonflikten umfassen vielfältige Aspekte und erfordern breitgefächerte und griffige Kontrollen, um die zuvor erläuterten Vorgaben erfüllen zu können. Zentrale Voraussetzung dafür ist eine detaillierte und kontinuierlich zu aktualisierende Dokumentation in Form eines Inventars, in welchem dokumentiert wird, bei welchen Dienstleistungen Interessenkonflikte aufgetreten sind oder auftreten können. Im Inventar müssen für jeden (potenziellen) Interessenkonflikt das inhärente Risiko, die getroffenen Massnahmen, die Kontrollen zur Risikominimierung, das Restrisiko und die mit der Überwachung beauftragten Personen aufgeführt sein.