gwp Monthly - Juni 2021

Risiken ohne Management und
zivilrechtliche Grenzen des Anlegerschutzes

Die Wichtigkeit des IKS und Neues aus dem Bundesgericht


Was bisher geschah

Unseren Bäckermeister und Präsidenten des örtlichen Curlingvereins Erich Müller haben Sie bereits kennengelernt (gwp Monthly – Dezember 2020). Nach seinen schlechten Erfahrungen mit der «Ehrlich Capital Invest AG» will es Erich wieder mit einem Mandat an einen externen Vermögensverwalter versuchen. «Diesmal», so Erich, «mache ich es aber besser und beauftrage nicht einen, sondern zwei Vermögensverwalter mit der Verwaltung meines Vermögens». Gesagt, getan.

Risiken ohne Management: Der Schrecken

Guter Dinge sitzt Erich eines Abends auf seinem Sofa und schaut die Tagesschau. Verdutzt lauscht er der monotonen Stimme der Nachrichtensprecherin: «Bank X», «immense Verluste», «Versagen», «Risk Management», «Pensionskassenverluste» hallt es in seinen Ohren. Tags darauf liest er in der Presse, dass die Bank X und deren Anleger mit einem komplexen Anlagevehikel horrende Verluste erlitten haben. «Wie konnte das Risk Management so versagen?» lautete die Überschrift des Artikels.

Erich Müller kennt die Risiken seines Bäckereibetriebs: Was, wenn das Mehl nicht rechtzeitig oder verunreinigt kommt, Hygienebestimmungen nicht eingehalten werden, Backartikel falsch kalkuliert werden, Verkaufspersonal kündigt… Aber was genau soll er sich unter Risk Management bei einer Bank oder einem Vermögensverwalter vorstellen?

Risiken ohne Management: Der Vergleich

Erich beschliesst seine beiden Vermögensverwalter anzurufen und sich über deren Risk Management zu erkundigen. Der erste Vermögensverwalter klärt ihn auf, dass er beabsichtige, sich in Kürze bei einer Aufsichtsorganisation anzumelden, um die FINMA-Lizenz nach FINIG zu erhalten. In diesem Zusammenhang beschäftige er sich zurzeit intensiv mit dem Thema Risk Management. Ein Risikomanagement, so der erste Vermögensverwalter, sei ein wichtiges Steuerungsinstrument, um mit Risiken - nicht nur Anlagerisiken - adäquat umgehen zu können. Die Regulierung sehe ein solches Risk Management vor, könne aber nicht allgemeingültige Vorgaben für die individuelle Umsetzung geben.

Erich legt zufrieden den Hörer auf. Im Verlaufe des Gesprächs hat er von Risikokategorien, Risikoappetit, Massnahmen, Kontrollen und internem Kontrollsystem erfahren und viel gelernt.

Seinen zweiten Vermögensverwalter kann Erich telefonisch zunächst nicht erreichen. Nach zwei weiteren Versuchen klappt es dann. Die aus dem ersten Gespräch erhaltenen Informationen im Kopf, hört Erich dem zweiten Vermögensveralter zu: Er habe mit den Arbeiten rund um die FINIG-Lizenz noch nicht begonnen. Schliesslich habe er ja noch lange Zeit hierzu. Auch bezüglich Risk Management zeigt sich sein Verwalter des Vertrauens entspannt: «Ich habe alle Positionen ihres Portfolios im Kopf und habe die Risiken im Griff» kriegt Erich zu hören.

Erich legt mit gemischten Gefühlen auf. Er ist sich bewusst, dass ein Risikomanagement Risiken nur minimieren kann und dass das Risikomanagement der Bank X den Vorfall mit dem komplexen Anlageinstrument nicht verhindern konnte. Umsomehr scheint ihm aber die Erkenntnis wichtig, wonach das Risikomanagement nur so gut sein kann, wie es auf die individuellen Verhältnisse ausgerichtet ist. Dies bedingt aber ein ernsthaftes, inhaltliches Auseinandersetzen mit dem Thema. Am nächsten Tag beschliesst Erich, das Mandat mit dem zweiten Vermögensverwalter zu kündigen. Das ungute Gefühl nach dem Gespräch hatte sich über Nacht verstärkt.

Zivilrechtliche Grenzen des Anlegerschutzes: Ausgangslage

Verlassen wir nun unseren Erich Müller, wünschen ihm viel Glück auf seinem weiteren Wege und wenden uns einer anderen Seite des Anlegerschutzes zu.

So wichtig es auch ist, schützenswerte Anleger vor Intransparenz und Fehlverhalten der Finanzindustrie zu schützen, so essentiell ist es für den Finanzplatz Schweiz auch, über eine ausgewogene Regulierung zu verfügen, welche die Finanzdienstleister nicht leichtfertig Klagerisiken von nicht schützenswerten Akteuren aussetzt.

Die Anfänge des FIDLEG enthielten zum Teil übermotivierte Anlegerschutzideen, wie zum Beispiel die Beweislastumkehr zugunsten des Anlegers, Prozessvorfinanzierungen durch die Finanzdienstleister und die Möglichkeit von Massenklagen, die entfernt an die US-amerikanischen Sammelklagen erinnerten. Diese unserem Zivilrecht fremden Konzepte wurden – zu Recht – zurückgestutzt und nicht in das aufsichtsrechtliche FDILEG aufgenommen, womit eine grosse Diskrepanz zwischen Zivilrecht und Regulierung verhindert wurde. Gleichwohl bleibt bisweilen eine Unsicherheit bezüglich Zusammenspiel zwischen FIDLEG und dem Zivilrecht. So zum Beispiel bei den im FIDLEG vorgsehenen Pflichterleichterungen im Umgang mit professionellen Kunden. Das kodifizierte Zivilrecht kennt (explizit) eine solche Abstufung der Pflichten des Finanzdienstleisters nicht.

Umso erfreulicher ist ein neues Urteil des Bundesgerichts vom 15. Februar 2021, welches in seinen Schlussfolgerungen die Brücke zwischen FIDLEG und Zivilrecht schlägt.

Zivilrechtliche Grenzen des Anlegerschutzes: Der Entscheid

Das oberste Schweizer Gericht musste sich mit folgendem Sachverhalt beschäftigen: Ein Bankkunde tätigte im Laufe der Zeit über 1'400 Transaktionen in einem erheblichem Umfang bei seiner Bank. Zwischen Bankkunde und Bank war strittig, ob es sich dabei um eine Execution-Only-Beziehung handelte oder ein konkludent geschlossener Anlageberatungsvertrag vorlag. Zudem war strittig, ob die Bank unter der Annahme, dass ein Anlageberatungsverhältnis vorlag, von sich aus Abmahnungspflichten hatte und ob der Bankkunde auf solche Abmahnungspflichten rechtsgültig verzichten konnte.

Das Bundesgericht erkannte, dass zumindest punktuell von einem Anlageberatungsverhältnis auszugehen war. Wie weit aber die Aufklärungs- und Beratungspflichten bei der Anlageberatung im Einzelnen gehen, könne nicht allgemein festgelegt werden, sondern hänge von der Ausgestaltung des Beratungsverhältnisses, der Art des konkreten Anlagegeschäfts sowie der Erfahrung und den Kenntnissen des Anlegers ab. Dies gelte auch für allfällige Abmahnpflichten.

Das Bundesgericht führte weiter aus, die Bank habe bei einem konkludent geschlossenen Anlageberatungsvertrag keine spontanen Warn- und Abmahnungspflichten gehabt. Der Bankkunde sei schliesslich ein international tätiger Investor mit Sach- und Fachkunde. Sodann hielt das Gericht fest, dass der Bankkunde bisweilen bis zu zehn mal am Tag mit der Bank telefonierte um Strukturierte Produkte und verschiedene Optionen zu besprechen und dass ein derart erfahrener und sachkundiger Anleger auf die Abgabe von Warnungen seitens Bank durchaus verzichten könne, falls diese überhaupt geschuldet gewesen seien.

Damit stellte das Bundesgericht bei seinen Erwägungen rund um die Pflichten der Bank erheblich auf die Professionalität des Anlegers ab. Ganz so wie es das FIDLEG vorsieht. Schliesslich rief das Bundesgericht in Erinnerung, dass das Verhalten nach Treu und Glauben dem Anlegerschutz Grenzen setze. So hielt es im Einklang mit der Vorinstanz fest: «Es erscheine damit insgesamt treuwidrig, wenn er [Anmerkung: Der Bankkunde] sich nun an die Beschwerdegegnerin [Anmerkung: Die Bank] halten wolle, nur weil seine auf eigenen Entscheiden fussende Strategie letztlich in einem für ihn unvorteilhaften Gesamtergebnis geendet habe».

31.05.2021




Felder mit einem * müssen ausgefüllt werden.

Die von Ihnen angegebenen Daten werden ausschliesslich zum Personalisieren unseres Newsletters verwendet und nicht an Dritte weiter gegeben. Die Angaben sind freiwillig. Zu statistischen Zwecken führen wir ein Link-Tracking durch.